Das Oberlandesgericht Brandenburg hat entschieden, dass wenn ein Auftraggeber in der Kenntnis eines Nachtragsangebotes eine Position zu dem angebotenen Einheitspreis ausführen lässt, ohne hiergegen einen Widerspruch zu erheben, es dadurch konkludent auch zu einer vertraglichen Vereinbarung über die Höhe des Einheitspreises kommt. Will bei einem VOB/B Vertrag ein Auftraggeber die Preise aus dem Nachtragsangebot nicht gegen sich gelten lassen, muss er hiergegen zeitnah Widerspruch erheben. Das ergibt sich aus der Kooperationspflicht eines VOB/B – Vertrages, OLG Brandenburg, Urteil vom 12.05.2022 – 12 U 141/21.
Von Anna Rehfeldt, LL.M.
Rechtsanwältin und externe Datenschutzbeauftragte
Was ist passiert?
Der Auftragnehmer wurde mit Straßenbauarbeiten für die Sanierung einer Ortsdurchfahrt beauftragt und führte diese auch aus. Auftraggeber und Auftragnehmer stritten im Verlauf über die Forderung aus insgesamt sechs Nachträgen des Auftragnehmers, wobei der Anspruch des Auftragnehmers dem Grunde nach zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer unstreitig war.
Uneinig waren sich Auftraggeber und Auftragnehmer hingegen über
- die Einheitspreise, die der Auftragnehmer in seinen Nachtragsangeboten einzelnen Positionen zu Grunde gelegt hat und darüber,
- ob der Auftraggeber dadurch, dass er die Leistungen durch den Auftragnehmer in Kenntnis der Nachtragsangebote ohne Widerspruch hat ausführen lassen, an die zu Grunde gelegten Einheitspreise gebunden ist.
Bevor der Auftragnehmer seine Leistungen ausgeführt hat, hatte dieser unstreitig zu den jeweiligen Leistungen entsprechende Nachträge dem Auftraggeber angeboten, namentlich hatte der Auftragnehmer die Nachträge an den Bauleiter des Auftraggebers übermittelt.
Der Auftraggeber wendet insoweit ein, dass die Übermittlung der Nachtragsangebote an den Bauleiter irrelevant sei, da die Bauleitung nur die Bauüberwachung zur Aufgabe hatte und diese somit für die Entscheidung über Nachträge überhaupt gar nicht berechtigt gewesen sei.
Nach Ansicht des Auftraggebers komme es allein auf die Kenntnis seiner Vertragsabteilung an. Und diese haben die Nachtragsangebote wiederum vor der Ausführung der Leistungen nicht gekannt.
Darüber hinaus sei dem Auftragnehmer auch bekannt gewesen, dass die Bearbeitung von Nachträgen beim Auftraggeber gerne auch mal mehrere Wochen andauern kann, sodass der Auftragnehmer auch nicht davon ausgehen dürfen, dass ein Widerspruch unverzüglich erfolge.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG Brandenburg, Urteil vom 12.05.2022 – 12 U 141/21) hat entschieden, dass es bei fünf der sechs Nachträge nicht darauf ankomme, ob eine konkludente (stillschweigende) Vereinbarung über die Einheitspreise der Nachträge vorliege oder nicht. Denn bei den fünf Nachträgen habe der Auftragnehmer im vorliegenden Verfahren ausreichend dargelegt, dass die vom Auftragnehmer geforderte Vergütung für die Nachträge der Höhe nach berechtigt ist.
Bei einem Nachtrag hatte das OLG hingegen Zweifel, ob die Nachtragsvergütung tatsächlich der Höhe nach berechtigt war. Hier kam es dann maßgeblich darauf an, ob eine konkludente (stillschweigende) Vereinbarung über den Einheitspreis des Nachtrages zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vorliegt oder nicht.
Im Ergebnis hat das OLG aber auch hier entschieden, dass der Auftragnehmer in Bezug auf diesen einen Nachtrag berechtigt sei, den von ihm (dem Auftragnehmer) angesetzten Einheitspreis als Grundlage für seine Abrechnung heranzuziehen.
Das Gericht führt zur Begründung aus, dass der Auftraggeber zumindest nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dazu verpflichtet gewesen sei, gegen den angesetzten Einheitspreis unverzüglich Widerspruch zu erheben, wenn er diesen nicht als Abrechnungsgrundlage gelten lassen will.
Insoweit könne dahinstehen, ob bereits in der widerspruchslosen Hinnahme der Ausführung der Leistungen, trotz Kenntnis der Preise aus dem Nachtragsangebot eine konkludente (stillschweigende) Preisvereinbarung zu sehen sei.
Die Pflicht zu einem unverzüglichen Widerspruch nach dem Gebot von Treu und Glauben ergebe sich daraus, dass der Auftragnehmer unstreitig vorgetragen hatte, dass dem Auftraggeber das Nachtragsangebot bereits Anfang September ausgehändigt worden sei, die Leistungen hingegen erst Ende Oktober ausgeführt werden konnten.
Bei einem Zeitfenster von fast zwei Monaten sei es dem Auftraggeber auch unter Beachtung der vom Auftraggeber vorgetragenen personellen und strukturellen Probleme möglich und zumutbar gewesen, auf das Nachtragsangebot des Auftragnehmers zu reagieren, vor allem dann, wenn er mit dem angebotenen Preis nicht einverstanden sei.
Dass dem Auftraggeber dies selbst binnen einer Frist von fast zwei Monaten nicht möglich gewesen sein soll, hatte dieser weder vorgetragen, noch war es in irgendeiner Art und Weise ersichtlich.
Der Auftragnehmer durfte nach Ansicht des Gerichts somit auch in Bezug auf diesen Nachtrag darauf vertrauen, dass der angebotene Preis vom Auftraggeber akzeptiert wird. Und mangels Reaktion des Auftraggebers, muss dieser eben dann auch den vom Auftragnehmer zu Grunde gelegten Einheitspreis für diesen Nachtrag gegen sich geltend lassen.
Fazit
Aus dieser Entscheidung wird deutlich, wie wichtig es in der Praxis ist, Nachträge rechtzeitig anzubieten. Unternehmen und Betriebe sollten stets vor der Ausführung ihrer Leistungen das Nachtragsangebot frühzeitig an den Auftraggeber übermitteln.
Praxistipp: Im Zweifel sollten Nachträge immer direkt an den Auftraggeber und nur in Kopie an die Bauleitung bzw. die Architekten übermittelt werden. Nur wenn im Vertrag eine abweichende Vereinbarung getroffen wurde, kann hiervon abgewichen werden. Auf mündliche Zusagen allein von der Bauleitung sollten sich Auftragnehmer nicht verlassen.
Achtung: Stellen Auftragnehmer das Nachtragsangebot erst nachdem sie mit der Ausführung ihrer Leistungen begonnen bzw. diese sogar fertiggestellt haben, kann das Schweigen des Auftraggebers auf das (verspätete) Nachtragsangebot in der Regel nicht als konkludente (stillschweigende) Zustimmung mehr angesehen werden.
Das gilt gleichermaßen, wenn das Nachtragsangebot durch den Auftragnehmer erst unmittelbar vor der Ausführung der Leistungen ausgehändigt wird.
Auftragnehmer sollten vor dem Hintergrund dieser Entscheidung darauf achten, dass sie unmittelbar nach Erteilung des Auftrages, spätestens jedoch zu Beginn der konkreten Vorbereitungen, prüfen, ob und falls ja, welche zusätzlichen Leistungen unter Umständen erforderlich werden könnten, um für diese dann rechtzeitig entsprechende Nachtragsangebote zu erstellen.
Zudem sollten Unternehmen und Betriebe beachten, dass es keinen generellen Grundsatz dahingehend gibt, dass ein Schweigen auf ein Nachtragsangebot immer als eine Zustimmung zu bewerten sei.
Im Gegenteil, rechtlich gilt der Grundsatz das Schweigen grundsätzlich keine Bedeutung hat. Nur wenn die Umstände des Einzelfalls dies ergeben, kann ein Schweigen, insbesondere im unternehmerischen Rechtsverkehr, als Zustimmung zu bewerten sein. Es kommt wie immer auf den Einzelfall an.
Anna Rehfeldt, LL.M.
Rechtsanwältin und externe Datenschutzbeauftragte