Komplexe Bau- und Werkleistungen begründen ein Bedürfnis nach Sicherheiten. Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer sind an der ordnungsgemäßen Erfüllung
der jeweiligen Pflichten des Vertragspartners interessiert. Das Gesetz sieht für den Auftraggeber Rechte u.a. in Form von Sicherheitseinbehalten vor. Zugleich aber auch Pflichten zur Rückgabe,
wenn kein Sicherungsbedürfnis mehr besteht. Wann aber entfällt das Bedürfnis? Oder kann die Sicherheit auch auf weitere Verträge mit dem gleichen Auftragnehmer erstreckt
werden?
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Was ist passiert?
In einem Bauvertrag einigten sich Auftraggeber und Auftragnehmer auf die Errichtung einer Heimstätte für betreutes Wohnen (Leistung 1). Darüber hinaus wurde in dem gleichen Vertrag, aber unter gesonderten Abschnitten, die Errichtung eines Kultur- und Begegnungszentrums (Leistung 2) vereinbart. Nach Abschluss der Arbeiten erteilte der Auftragnehmer Schlussrechnung für Leistung 2. Hierbei legte er dem Auftraggeber die ebenfalls vereinbarte Gewährleistungsbürgschaft vor und forderte die Herausgabe/ Auszahlung des Sicherheitseinbehalts für Leistung 2.
Der Auftraggeber verweigerte die Auszahlung des Einbehalts, da für Leistung 1 noch Schadensersatzansprüche und Mängelrechte bestehen würden.
Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Az. 8 U 165/13) gab dem Auftragnehmer recht und verurteilte den Auftraggeber zur Herausgabe des Sicherheitseinbehalts.
Zwar wurde vorliegend nur ein einziger Bauvertrag geschlossen. Dieser Vertrag ist aber so auszulegen,dass die jeweiligen Vorhaben als gesonderte und voneinander unabhängige Leistungen betrachtet werden müssen. Nur so erklärt sich, dass der Auftragnehmer für die Leistung 2 eine gesonderte Schlussrechnung erteilt hat und auf Grundlage dieser gesonderten Schlussrechnung dann ein eigener Sicherheitseinbehalt berechnet wurde.
Da somit zwei verschiedene und unabhängige Bauvorhaben vereinbart wurden, die nur in einem einheitlichen Vertragsdokument
aufgenommen wurden, darf der Auftraggeber eine Aufrechnung oder ein Zurückbehaltungsrecht für Leistung 1 nicht auf Leistung 2 übertragen. Mängel bei Leistung 1 berechtigen keinen Einbehalt der
Sicherheit für Leistung 2. Ein Sicherheitseinbehalt dient dem Zweck, dass die Kosten für die Mängelbeseitigung gerade in
Bezug auf das konkrete Bauvorhaben gedeckt werden sollen. Es ist folglich auftragsbezogen. Dürfte ein Auftraggeber einen Einbehalt auch auf weitere Bauvorhaben erstrecken, wäre er im Ergebnis
übersichert.
Fazit
Das OLG Karlsruhe schließt sich mit dieser Entscheidung der überwiegenden Ansicht zu Sicherheiten und Aufrechnungsmöglichkeiten bei verschiedenen Bauvorhaben an. Es wendet sich ausdrücklich gegen eine Entscheidung des OLG Hamms, wonach ein Auftraggeber ein Sicherheitseinbehalt trotz Übergabe einer Bürgschaft dann nicht auszahlen müsse, wenn er in Bezug auf andere Bauvorhaben Mängelrechte habe.
Im Ergebnis dürfte aber mit der überwiegenden Ansicht und dem OLG Karlsruhe von der Herausgabepflicht bzw. der Rückzahlungspflicht des Auftraggebers auszugehen sein. Bürgschaften und Sicherheiten beziehen sich in der Baupraxis regelmäßig auf ein konkretes Bauprojekt. Und auch die VOB/B sieht Sicherheiten immer nur in Bezug auf konkrete Bauvorhaben vor. Warum der Auftraggeber über das jeweilige Vorhaben hinaus auf andere Sicherheiten zurückgreifen können soll, erschließt sich nicht. Hierfür hat er ebenfalls (gesonderte) Sicherheiten.
Praxistipp: Was aber wenn der Auftraggeber trotz Stellung der Bürgschaft den Einbehalt nicht auszahlt? Der BGH hat hierzu folgende Grundsätze aufgestellt:
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Ist die Leistung des Auftragnehmers mangelhaft, darf der Auftraggeber gleichwohl nicht beide Sicherheiten behalten. Er hat entweder den Sicherheitseinbehalt auszuzahlen oder die Bürgschaft herauszugeben. Beide Sicherheiten würden den Auftraggeber unberechtigt übersichern.
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Hat der Auftraggeber bei Stellung der Bürgschaft die Sicherheit bereits für die Mängelbeseitigung verwendet, muss er die Sicherheit nicht zurückzahlen. Die Rückgabe beschränkt sich auf in dieser Situation auf die Bürgschaft.
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Eine Rückzahlung des Einbehalts muss auch dann nicht erfolgen, wenn der Auftragnehmer mit der Mängelbeseitigung in Verzug ist bzw. die Nacherfüllungsfrist kurz nach Stellung der Bürgschaft abläuft. Hier ist jedoch wiederum die Bürgschaft zurückzugeben, wenn der Auftraggeber die Kosten der Mängelbeseitigung durch den Sicherheitseinbehalt decken will. Beides kann der Auftraggeber nicht behalten.
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Kann der Besteller die Beseitigung eines Mangels verlangen, so kann er nach der Fälligkeit die Zahlung eines angemessenen Teils der Vergütung verweigern; angemessen ist in der Regel das Doppelte der für die Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten, § 641 Abs. 3 BGB. Dieses Zurückbehaltungsrecht der Vergütung wandelt sich in einen Zahlungsanspruch gegen den Auftragnehmer um, wenn dieser mit der Mängelbeseitigung in Verzug gerät. Mit diesem Anspruch kann der Auftraggeber dann auch grundsätzlich aufrechnen. Solange aber ein Verzug des Auftragnehmers nicht besteht und es somit an einer sog. Aufrechnungslage fehlt, muss der Auftraggeber bei Stellung der Bürgschaft die Sicherheitsleistung auszahlen.
Bei Rückfragen stehe ich
gerne zur Verfügung!